Zweites Buch
1.Kapitel
Wilhelm war nunmehr auf der Besserung, und Werner kam noch redlich jeden Abend nach vollendeten Geschäften, wie er es in den schlimmem Zeiten der Krankheit seines Freundes gewohnt worden war, um ihn mit Erzählen, Vorlesen, auch wohl oft durch die bloße Gegenwart von den heimlichen Gedanken abzubringen, in denen der Unglückliche sein Schicksal wiederzukäuen, und sich selbst zu verzehren eine Wollust fand. Einmal als Wilhelm in der Abenddämmerung aus dem Schlummer erwachte, und die Vorhänge seines Bettes um aufzustehen teilte, sah er Wernern der indes angekommen, sich um ihn nicht zu stören mit einem Buche ins Fenster gestellt hatte. Warum lässest du nicht ein Licht kommen, sagte der Kranke mit einem guten Abend, was liesest du? – Ich fand einen Teil des Corneille auf dem Tische, und schlug eben seine Abhandlung über die drei Einheiten auf. Ich hab so viel darüber reden hören, und war begierig zu lesen was dieser berühmte Schriftsteller darüber entscheidet. – Entschieden hat er nun wohl nichts, versetzte Wilhelm. Mir scheint seine Schrift mehr eine Verteidigung gegen allzustrenge Gesetzgeber, als selbst ein Gesetz zu sein, wornach sich seine Nachfolger zu richten hätten. – Ich merkte auch bald, daß ich mich geirrt hatte, sagte Werner, da ich mir aus diesen Blättern einen Maßstab in die Seele zu befestigen dachte, wornach ich künftighin die Schauspiele beurteilen könnte – Wenn es auch Regeln gibt, fiel Wilhelm ein, wornach man die Werke der Dichter richten darf, so mögen sie doch nicht so leicht anzuwenden sein, als Elle und Gewicht, und die 4 Spezies der Rechenkunst. – Ich verstehe das nicht, sagte der andere, denn wenn die Vorschrift einmal richtig und festgesetzt ist, so muß man ja leicht sehen können, ob der Schriftsteller sich darnach gerichtet hat, oder nicht. Wilhelm war still.
Doch ich merke, um meine Leser zu befriedigen werde ich die Erzählung an das Ende des vorigen Buchs anknüpfen müssen.
Die Pest oder ein böses Fieber ihres gleichen, rasen in einem gesunden vollsäftigen Körper, den sie anfallen, schneller und stärker, und so war der arme Wilhelm von seinem Schicksale überwältigt, daß in Einem Augenblicke sein ganzes Eingeweide brannte. Wie, wenn ungefähr unter der Zurüstung ein Feuerwerk in Brand gerät gingen in seinem Busen Glück und Hoffnung, Wollust und Freuden, Wirkliches und Geträumtes, auf einmal scheiternd durch einander. In den Augenblicken solchen wüsten Geschickes erstarrt meistens der Zuschauer, und dem den es trifft ist es eine Wohltat, daß ihn die Sinne verlassen.
Die Zeiten des lauten, ewig in sich wiederkehrenden, unerträglichen Schmerzens folgten darauf. Doch sind auch diese für eine Gnade der Natur zu achten. In solchen Stunden hatte Wilhelm seine Geliebte noch nicht ganz verloren, seine Schmerzen waren unermüdet erneuerte Versuche das Glück das ihm aus der Seele entfloh noch feste zu halten, die Möglichkeit davon in der Vorstellung wieder zu erhaschen. Und wie man einen Körper so lange die Verwesung dauert, nicht ganz tot nennen kann, denn die Kräfte die vergebens in alten Bestimmungen zu wirken suchen arbeiten itzt an der Zerstörung und nur dann, wann sich auch diese aufgerieben haben, wenn das Ganze in gleichgültigen Staub und Gebeine zerlegt ist, dann entstehet das erbärmlich leere Totengefühl, nur durch den Atem des Ewiglebenden zu erquicken.
In so einer neuen ganz lieblichen Seele war viel zu ertöten, zu zerreißen, zu zerstören, und die schnell heilende Kraft die in der Jugend ist gab selbst der Gewalt des Schmerzens neue Nahrung und Heftigkeit. Der Streich war zu treffend tödlich. Werner nun aus Not sein Vertrauter, griff voll Eifer zu Feuer und Schwert um der gehaßten Leidenschaft, dem Ungeheuer aufs innerste Leben zu gehen. Die Gelegenheit war so glücklich die Zeugnisse so bei der Hand, er trieb's mit solcher Heftigkeit, und Grausamkeit, Schritt vor Schritt, ließ dem Freunde nicht das mindeste Labsal des mindesten augenblicklichen Betruges, und vertrat ihm jeden Schlupfwinkel, daß die Natur die doch ihren Liebling nicht wollte zu Grunde gehen lassen, ihn mit Krankheit anfiel, um ihm von der andern Seite Luft zu machen.
Ein lebhaftes Fieber mit seinen Folgen, den Arzneien und der Mattigkeit, die Bemühungen der Seinen ums Bette, die Nähe und Liebe der Mitgebornen, die durch Mangel und Bedürfnis erst recht fühlbar wird, waren so viele Zerstreuungen eines veränderten Zustandes, und eine kümmerliche Unterhaltung. Erst wie er wieder besser wurde das heißt, wie seine Kräfte erschöpft waren, sah er mit Entsetzen in den qualvollen Abgrund eines dürren Elendes hinab, eine Empfindung als wenn man in den ausgebrannten hohlen Becher eines Volkans hinunter sieht. Nunmehr machte er sich selbst die bittersten Vorwürfe daß er, nach erlittenem so großem Verlust, noch einen schmerzlosen ruhigen gleichgültigen Augenblick haben könnte. Er verachtete sein eigen Herz, und sehnte sich nach dem Labsal der Tränen und des Jammers. Um diese wieder in sich zu erwecken brachte er vor sein Andenken alle Szenen des vergangenen Glückes. Mit der größten Lebhaftigkeit malte er sie sich aus, strebte er sich wieder in sie hinein, und wenn er sich zur möglichsten Höhe hinaufgearbeitet hatte, wenn ihm der Sonnenschein voriger Tage wieder die Glieder zu beleben, und den Busen zu heben schien, sah er rückwärts auf den erschröcklichen Abgrund, labte sein Auge an dem Sturze, warf sich hinunter, und erzwang von der Natur die bittersten Schmerzen. Und so wiederholt zerriß er sich selbst. Denn die Jugend die so reich an eingewickelten Kräften ist, weiß nicht was sie verschleudert, wenn sie dem Schmerz den ein Verlust erregt, noch so viele erzwungene Leiden gleichsam nachwirft, als wolle sie Verlorenem dadurch noch erst einen rechten Wert geben.
Er war so überzeugt, daß dieser Verlust der einzige, der erste und letzte sei, den er in seinem Leben machen könne, daß er jeden Trost verabscheute, der ihm diese Leiden als endlich vorstellen wollte. Jede freudige sonst teilnehmende Ader haßt' er an sich, und nährte dagegen jene stillstehende, schleichende, in sich gekehrte Empfindung, die heimlich den Kern des Lebens aushöhlt. Leise fieberhafte Bewegungen, Nachhälle seiner Krankheit, schlichen in seinem innersten Bau, und wurden durch eine falsche Diät Leibes und der Seele unterhalten. Er floh die Menschen enthielt sich in seiner Stube, und konnte es nie warm genug darin haben. Der Caffée den er bisher noch gar nicht gekannt, schlich sich als Arznei bei ihm ein, denn wurde dieser Lieblingstrank erst einmal des Tages, darauf zweimal genommen, und bald unentbehrlich. Dieser leidige und allgemein verbreitete Gift des Körpers und des Beutels wirkte bei ihm auf das gefährlichste. Seine Vorstellung wurde mit schwarzen leicht beweglichen Bildern erfüllt, mit welchen seine Imagination ein rastloses Drama, das die Hölle des Dante zum würdigen Schauplatz erwählet hätte, aufzuführen sich gewöhnte. Die vorübergehende falsche Stimmung, die dieser verräterische Saft dem Geiste gibt, ist zu reizend, als daß man sie einmal empfunden entbehren mögte. Die Abspannung und Nüchternheit die darauf folget, zu öde, als daß man nicht den vorigen Zustand durch neuen Genuß wieder herauf holen sollte.
Der Tee, ein würdiger, obgleich weitläufiger Anverwandter der verderblichen Bohne, ward als ein guter Gesellschafter, die häusliche Langeweile zu ergötzen auch Abends gewöhnlich aufgefordert, und da dann gleichfalls der Wein, nicht immer mäßig, genommen wurde, wenn gute Freunde zu Tische waren, und die Lebhaftigkeit des Gespräches sich in einem solchen Vehikel am besten ausbreitete, so entstand daraus, und aus andern Verknüpfungen, ein widriges Unbehagen, in seinem ganzen Wesen. Er ward von falschen Launen gepeitscht, seine Begriffe waren verworren, und übertrieben, man erkannte ihn fast nicht mehr gegen die vorigen Zeiten.
Leider wird dieser fast so unbeschreiblich als unerträgliche Zustand von vielen wohl verstanden werden, die wie unser Freund, sich für außerordentliche physische und moralische Phänomene ansehen, und jene Bewegungen, die sie zerreißend beunruhigen, der Gewalt ihres Herzens der Kraft ihres Geistes zuschreiben; da sie doch mit etwas mehr Ordnung in ihrer Diät, mit etwas mehr Natur in ihrem Genüsse, zu ihrer eigenen und zu der Ihrigen Zufriedenheit recht ordentliche, und recht natürliche Menschen werden würden. Ja erlaubt mir meine Freunde, daß ich euch sage: Ihr erscheint mir oft, wie kleine sachte Bäche, worein die Knaben Steine tragen, um sie rauschen zu machen.
Die Reste jener ersten Krankheit stockten noch in Wilhelms Gefäßen. Durch seine Lebensart konnte die Natur nicht wieder in ihre gleiche Wege geleitet werden. Er verabscheute jede Zerstreuung, und Bewegung. Im Schlafrocke, Pantoffeln, und der Nachtmütze fand er seine Beruhigung, und zuletzt gar in einer Pfeife Tobak sein Glück. Es fehlte nun fast nichts mehr, ihn den Wohlgebildeten, Reinlichen, Freien, in den Zustand jener Menschen zu versetzen, die oft ohne Geist und innern Beruf, über mißverstandenen Büchern wie Schuster auf dem Schemel verkümmern.
Und er wäre auch untergegangen, hätte ihn nicht die Kraft seiner Natur, die wieder zum Geraden, und Reinen strebte, gerettet. Je enger jene körperliche Fesseln zusammengezogen wurden, desto mehr sträubte sich die innere Gewalt, brach bei der ersten Gelegenheit los, und durchwühlte das ganze Gebäude. Vergebens, daß man sie zu besänftigen hoffte. Mit der Weisheit einer verständigen Zuchtmeisterin griff sie durch, faßte jedes Übel in der Wurzel, kehrte das Oberste zu unterst, warf aus was zu grob war, verzehrte das Feinere, und unbarmherzig in ihren unaufhaltsamen Wirkungen brachte sie unsern Freund etliche male an die Pforte des Todes. Aber auch ihre Kur war aus dem Grunde, alles Fremde und Falsche ward vertrieben, und der wohlgebaute Körper zu seinem künftigen Glücke in seinen innersten Verhältnissen wieder hergestellt. Freilich nahmen die Kräfte alsdann so langsam zu, daß man oft glauben konnte, sie schwänden wieder. In den gefährlichsten Augenblicken hatte er rein allem Leben entsagt, das hinter ihm zu liegen schien, er war los geworden von der Welt, und die Ruhe die aus diesem Gefühl kam, war wie ein freundliches Klima aus dem der Genesende gelinde Lebenssäfte zog. Dankbar nahm er nunmehro von der Quelle des Lebens das wieder an was er in der Wut seines Zustandes verschleudert und mit Füßen getreten hatte; und so ward er wie ein Kind zum zweiten mal wieder ins Leben zurückgeführt, und wie ein Kind fiel er bei der ersten anwandelnden Munterkeit wieder über die vorigen Spielsachen her.
Was ihm zunächst lag, waren Theater Bücher. Er las mit vielem Vergnügen die besten Stücke wieder nach einander, die ihm doch hier und da anders als sonst vorkamen.
Einen solchen Band hatte Werner während der Mittagsruhe seines Freundes aufgeblättert, wie wir zu Anfange dieses Kapitels gesehen haben.
1.Kapitel
Wilhelm war nunmehr auf der Besserung, und Werner kam noch redlich jeden Abend nach vollendeten Geschäften, wie er es in den schlimmem Zeiten der Krankheit seines Freundes gewohnt worden war, um ihn mit Erzählen, Vorlesen, auch wohl oft durch die bloße Gegenwart von den heimlichen Gedanken abzubringen, in denen der Unglückliche sein Schicksal wiederzukäuen, und sich selbst zu verzehren eine Wollust fand. Einmal als Wilhelm in der Abenddämmerung aus dem Schlummer erwachte, und die Vorhänge seines Bettes um aufzustehen teilte, sah er Wernern der indes angekommen, sich um ihn nicht zu stören mit einem Buche ins Fenster gestellt hatte. Warum lässest du nicht ein Licht kommen, sagte der Kranke mit einem guten Abend, was liesest du? – Ich fand einen Teil des Corneille auf dem Tische, und schlug eben seine Abhandlung über die drei Einheiten auf. Ich hab so viel darüber reden hören, und war begierig zu lesen was dieser berühmte Schriftsteller darüber entscheidet. – Entschieden hat er nun wohl nichts, versetzte Wilhelm. Mir scheint seine Schrift mehr eine Verteidigung gegen allzustrenge Gesetzgeber, als selbst ein Gesetz zu sein, wornach sich seine Nachfolger zu richten hätten. – Ich merkte auch bald, daß ich mich geirrt hatte, sagte Werner, da ich mir aus diesen Blättern einen Maßstab in die Seele zu befestigen dachte, wornach ich künftighin die Schauspiele beurteilen könnte – Wenn es auch Regeln gibt, fiel Wilhelm ein, wornach man die Werke der Dichter richten darf, so mögen sie doch nicht so leicht anzuwenden sein, als Elle und Gewicht, und die 4 Spezies der Rechenkunst. – Ich verstehe das nicht, sagte der andere, denn wenn die Vorschrift einmal richtig und festgesetzt ist, so muß man ja leicht sehen können, ob der Schriftsteller sich darnach gerichtet hat, oder nicht. Wilhelm war still.
Doch ich merke, um meine Leser zu befriedigen werde ich die Erzählung an das Ende des vorigen Buchs anknüpfen müssen.
Die Pest oder ein böses Fieber ihres gleichen, rasen in einem gesunden vollsäftigen Körper, den sie anfallen, schneller und stärker, und so war der arme Wilhelm von seinem Schicksale überwältigt, daß in Einem Augenblicke sein ganzes Eingeweide brannte. Wie, wenn ungefähr unter der Zurüstung ein Feuerwerk in Brand gerät gingen in seinem Busen Glück und Hoffnung, Wollust und Freuden, Wirkliches und Geträumtes, auf einmal scheiternd durch einander. In den Augenblicken solchen wüsten Geschickes erstarrt meistens der Zuschauer, und dem den es trifft ist es eine Wohltat, daß ihn die Sinne verlassen.
Die Zeiten des lauten, ewig in sich wiederkehrenden, unerträglichen Schmerzens folgten darauf. Doch sind auch diese für eine Gnade der Natur zu achten. In solchen Stunden hatte Wilhelm seine Geliebte noch nicht ganz verloren, seine Schmerzen waren unermüdet erneuerte Versuche das Glück das ihm aus der Seele entfloh noch feste zu halten, die Möglichkeit davon in der Vorstellung wieder zu erhaschen. Und wie man einen Körper so lange die Verwesung dauert, nicht ganz tot nennen kann, denn die Kräfte die vergebens in alten Bestimmungen zu wirken suchen arbeiten itzt an der Zerstörung und nur dann, wann sich auch diese aufgerieben haben, wenn das Ganze in gleichgültigen Staub und Gebeine zerlegt ist, dann entstehet das erbärmlich leere Totengefühl, nur durch den Atem des Ewiglebenden zu erquicken.
In so einer neuen ganz lieblichen Seele war viel zu ertöten, zu zerreißen, zu zerstören, und die schnell heilende Kraft die in der Jugend ist gab selbst der Gewalt des Schmerzens neue Nahrung und Heftigkeit. Der Streich war zu treffend tödlich. Werner nun aus Not sein Vertrauter, griff voll Eifer zu Feuer und Schwert um der gehaßten Leidenschaft, dem Ungeheuer aufs innerste Leben zu gehen. Die Gelegenheit war so glücklich die Zeugnisse so bei der Hand, er trieb's mit solcher Heftigkeit, und Grausamkeit, Schritt vor Schritt, ließ dem Freunde nicht das mindeste Labsal des mindesten augenblicklichen Betruges, und vertrat ihm jeden Schlupfwinkel, daß die Natur die doch ihren Liebling nicht wollte zu Grunde gehen lassen, ihn mit Krankheit anfiel, um ihm von der andern Seite Luft zu machen.
Ein lebhaftes Fieber mit seinen Folgen, den Arzneien und der Mattigkeit, die Bemühungen der Seinen ums Bette, die Nähe und Liebe der Mitgebornen, die durch Mangel und Bedürfnis erst recht fühlbar wird, waren so viele Zerstreuungen eines veränderten Zustandes, und eine kümmerliche Unterhaltung. Erst wie er wieder besser wurde das heißt, wie seine Kräfte erschöpft waren, sah er mit Entsetzen in den qualvollen Abgrund eines dürren Elendes hinab, eine Empfindung als wenn man in den ausgebrannten hohlen Becher eines Volkans hinunter sieht. Nunmehr machte er sich selbst die bittersten Vorwürfe daß er, nach erlittenem so großem Verlust, noch einen schmerzlosen ruhigen gleichgültigen Augenblick haben könnte. Er verachtete sein eigen Herz, und sehnte sich nach dem Labsal der Tränen und des Jammers. Um diese wieder in sich zu erwecken brachte er vor sein Andenken alle Szenen des vergangenen Glückes. Mit der größten Lebhaftigkeit malte er sie sich aus, strebte er sich wieder in sie hinein, und wenn er sich zur möglichsten Höhe hinaufgearbeitet hatte, wenn ihm der Sonnenschein voriger Tage wieder die Glieder zu beleben, und den Busen zu heben schien, sah er rückwärts auf den erschröcklichen Abgrund, labte sein Auge an dem Sturze, warf sich hinunter, und erzwang von der Natur die bittersten Schmerzen. Und so wiederholt zerriß er sich selbst. Denn die Jugend die so reich an eingewickelten Kräften ist, weiß nicht was sie verschleudert, wenn sie dem Schmerz den ein Verlust erregt, noch so viele erzwungene Leiden gleichsam nachwirft, als wolle sie Verlorenem dadurch noch erst einen rechten Wert geben.
Er war so überzeugt, daß dieser Verlust der einzige, der erste und letzte sei, den er in seinem Leben machen könne, daß er jeden Trost verabscheute, der ihm diese Leiden als endlich vorstellen wollte. Jede freudige sonst teilnehmende Ader haßt' er an sich, und nährte dagegen jene stillstehende, schleichende, in sich gekehrte Empfindung, die heimlich den Kern des Lebens aushöhlt. Leise fieberhafte Bewegungen, Nachhälle seiner Krankheit, schlichen in seinem innersten Bau, und wurden durch eine falsche Diät Leibes und der Seele unterhalten. Er floh die Menschen enthielt sich in seiner Stube, und konnte es nie warm genug darin haben. Der Caffée den er bisher noch gar nicht gekannt, schlich sich als Arznei bei ihm ein, denn wurde dieser Lieblingstrank erst einmal des Tages, darauf zweimal genommen, und bald unentbehrlich. Dieser leidige und allgemein verbreitete Gift des Körpers und des Beutels wirkte bei ihm auf das gefährlichste. Seine Vorstellung wurde mit schwarzen leicht beweglichen Bildern erfüllt, mit welchen seine Imagination ein rastloses Drama, das die Hölle des Dante zum würdigen Schauplatz erwählet hätte, aufzuführen sich gewöhnte. Die vorübergehende falsche Stimmung, die dieser verräterische Saft dem Geiste gibt, ist zu reizend, als daß man sie einmal empfunden entbehren mögte. Die Abspannung und Nüchternheit die darauf folget, zu öde, als daß man nicht den vorigen Zustand durch neuen Genuß wieder herauf holen sollte.
Der Tee, ein würdiger, obgleich weitläufiger Anverwandter der verderblichen Bohne, ward als ein guter Gesellschafter, die häusliche Langeweile zu ergötzen auch Abends gewöhnlich aufgefordert, und da dann gleichfalls der Wein, nicht immer mäßig, genommen wurde, wenn gute Freunde zu Tische waren, und die Lebhaftigkeit des Gespräches sich in einem solchen Vehikel am besten ausbreitete, so entstand daraus, und aus andern Verknüpfungen, ein widriges Unbehagen, in seinem ganzen Wesen. Er ward von falschen Launen gepeitscht, seine Begriffe waren verworren, und übertrieben, man erkannte ihn fast nicht mehr gegen die vorigen Zeiten.
Leider wird dieser fast so unbeschreiblich als unerträgliche Zustand von vielen wohl verstanden werden, die wie unser Freund, sich für außerordentliche physische und moralische Phänomene ansehen, und jene Bewegungen, die sie zerreißend beunruhigen, der Gewalt ihres Herzens der Kraft ihres Geistes zuschreiben; da sie doch mit etwas mehr Ordnung in ihrer Diät, mit etwas mehr Natur in ihrem Genüsse, zu ihrer eigenen und zu der Ihrigen Zufriedenheit recht ordentliche, und recht natürliche Menschen werden würden. Ja erlaubt mir meine Freunde, daß ich euch sage: Ihr erscheint mir oft, wie kleine sachte Bäche, worein die Knaben Steine tragen, um sie rauschen zu machen.
Die Reste jener ersten Krankheit stockten noch in Wilhelms Gefäßen. Durch seine Lebensart konnte die Natur nicht wieder in ihre gleiche Wege geleitet werden. Er verabscheute jede Zerstreuung, und Bewegung. Im Schlafrocke, Pantoffeln, und der Nachtmütze fand er seine Beruhigung, und zuletzt gar in einer Pfeife Tobak sein Glück. Es fehlte nun fast nichts mehr, ihn den Wohlgebildeten, Reinlichen, Freien, in den Zustand jener Menschen zu versetzen, die oft ohne Geist und innern Beruf, über mißverstandenen Büchern wie Schuster auf dem Schemel verkümmern.
Und er wäre auch untergegangen, hätte ihn nicht die Kraft seiner Natur, die wieder zum Geraden, und Reinen strebte, gerettet. Je enger jene körperliche Fesseln zusammengezogen wurden, desto mehr sträubte sich die innere Gewalt, brach bei der ersten Gelegenheit los, und durchwühlte das ganze Gebäude. Vergebens, daß man sie zu besänftigen hoffte. Mit der Weisheit einer verständigen Zuchtmeisterin griff sie durch, faßte jedes Übel in der Wurzel, kehrte das Oberste zu unterst, warf aus was zu grob war, verzehrte das Feinere, und unbarmherzig in ihren unaufhaltsamen Wirkungen brachte sie unsern Freund etliche male an die Pforte des Todes. Aber auch ihre Kur war aus dem Grunde, alles Fremde und Falsche ward vertrieben, und der wohlgebaute Körper zu seinem künftigen Glücke in seinen innersten Verhältnissen wieder hergestellt. Freilich nahmen die Kräfte alsdann so langsam zu, daß man oft glauben konnte, sie schwänden wieder. In den gefährlichsten Augenblicken hatte er rein allem Leben entsagt, das hinter ihm zu liegen schien, er war los geworden von der Welt, und die Ruhe die aus diesem Gefühl kam, war wie ein freundliches Klima aus dem der Genesende gelinde Lebenssäfte zog. Dankbar nahm er nunmehro von der Quelle des Lebens das wieder an was er in der Wut seines Zustandes verschleudert und mit Füßen getreten hatte; und so ward er wie ein Kind zum zweiten mal wieder ins Leben zurückgeführt, und wie ein Kind fiel er bei der ersten anwandelnden Munterkeit wieder über die vorigen Spielsachen her.
Was ihm zunächst lag, waren Theater Bücher. Er las mit vielem Vergnügen die besten Stücke wieder nach einander, die ihm doch hier und da anders als sonst vorkamen.
Einen solchen Band hatte Werner während der Mittagsruhe seines Freundes aufgeblättert, wie wir zu Anfange dieses Kapitels gesehen haben.
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