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Wilhelm Meisters theatralische Sendung Kapitel IV - Johann Wolfgang von Goethe
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Wilhelm Meisters theatralische Sendung Kapitel IV Johann Wolfgang von Goethe

Wilhelm Meisters theatralische Sendung Kapitel IV - Johann Wolfgang von Goethe
                                            Zweites Buch
                                                1.Kapitel

    Die Verbindung einer Reisegesellschaft ist eine Art von Ehe, und man findet sich bei ihr auch leider wie bei dieser, oft mehr aus Konvenienz als aus Harmonie zusammen, und die Folgen eines leichtsinnig eingegangenen Bundes sind hier und dorten gleich. Wilhelm hatte sich einen Lohnkutscher bis an einen gewissen Ort gedungen, und um die Kosten der Fuhre nicht allein zu bezahlen, noch drei Passagiers aufgerafft die eben den Weg gingen. Ein jeder hatte sein besonderes Interesse, wovon er den andern ausschließlich unterhielte und einigen Nutzen für sich zu ziehen hoffte. Der eine war ein Bergmeister, der andere ein Weinhändler, der dritte, noch der uneigennützigste, fand auf dem ganzen Wege nichts merkwürdiges als Pferde und Mädchen. Wilhelm war wie versiegelt in ihrer Gesellschaft, besonders verdrossen ihn die unartigen Gespräche, die rohen und übertriebenen Forderungen in den Herbergen, und die ewigen Händel mit dem Postillion, der darum um nichts geschwinder fuhr.

    Sie hielten Mittags in einem Wirtshause an, wo der Bergmeister einige seiner Leute, die er hierher bestellt hatte, vor der Türe mitten unter einem Truppe Bauern antraf.

    Jede Gattung Menschen die Uniform trägt imponiert dem großen Haufen, und weiß sich ihres Vorzugs meistens sehr gut zu bedienen. Die Bergleute hatten Zithern bei sich, spielten, sangen, indes die andern um sie herumstunden und die Mäuler aufsperrten. Die Gesellschaft drängte sich durch, und die Sänger verdoppelten ihre Bemühungen, da sie nun auf ein gutes Trinkgeld hoffen konnten. Nach Begrüßung ihres Vorgesetzten, trugen sie mit ihren lebhaften und grellen Stimmen verschiedne artige Lieder vor. Auf einmal, da sie sahen, daß man Gefallen an ihrem Spiele hatte, erweiterten sie ihren Kreis und einer trat mit einer Hacke auf und stellte indes die andern ein Stück aufspielten die Handlung des Schürfens vor. Es währte nicht lange so trat ein Bauer aus der Menge und gab ihm pantomimisch drohend zu verstehn, daß er sich von hier hinwegbegeben solle. Die Gesellschaft war darüber verwundert, und erkannte erst den zum Bauer verkleideten Bergmann als er den Mund auf tat, und in einer Art von Rezitativ den andern schalt, daß er es wage auf seinem Acker zu handtieren. Jener kam nicht aus der Fassung, sondern fing an den Landmann zu belehren, daß er ein Recht dazu habe, und gab ihm die ersten Begriffe von dem Bergbaue. Der Bauer tat allerlei alberne Fragen, worüber die Zuschauer herzlich lachten. Der Bergmann suchte ihn zu rektifizieren, und bewies ihm am Ende den Vorteil der zuletzt auf ihn fließe, wenn die unterirdischen Schätze des Landes herausgewühlt würden. Der Bauer der jenem zuerst mit Schlägen gedroht, wurde nach und nach besänftigt, und sie schieden als gute Freunde, und besonders der Bergmann auf die honorabelste Art von der Welt aus diesem Streite.

    Nachdem sie geendigt hatten, gab jeder, besonders Wilhelm, sein Trinkgeld gerne. Das Essen war bereit und nach Tische entschlossen sie sich, da man dem Gebürge nahe war, und die Fahrt langsam und beschwerlich ging, bis in das Nachtquartier zu Fuße zu gehen. Der Postillion beschrieb der Gesellschaft den Weg, und sie verlor sich bald auseinander, indem ein Teil voreilte, und der andre zurückblieb.

    Wilhelm war bald allein. Er durchstrich mit leisem Schritte Täler und Berge, in der Empfindung des größten Vergnügens. Überhangende Felsen, rauschende Wasserbäche, bewachsene Wände, tiefe Gründe, sah er zum erstenmale, und doch hatten seine frühsten Jugendträume schon um solche Gegenden geschwebt. Er war bei diesem Anblicke nun wieder verjüngt, alle erdulteten Schmerzen waren ganz aus seiner Seele weggewaschen, und mit jugendlicher Fröhlichkeit rezitierte er Stellen seiner ersten Dramen, Stellen anderer Dichter, besonders aus dem Pastor fido, die an diesen einsamen Plätzen scharenweise seinem Gedächtnisse zuflossen. Er belebte die Welt die vor ihm lag, mit allen Gestalten der Vergangenheit, und jeder Schritt in die Zukunft war ihm voll Ahndung wichtiger Handlungen und merkwürdiger Begebenheiten.

    Mehrere Menschen, die auf einander folgend, hinter ihm herkamen, an ihm mit einem Gruße vorbeigingen und den Weg in das Gebürg eilig fortsetzten, hatten ihn verschiedene male unterbrochen ohne daß er auf sie aufmerksam geworden wäre. Endlich gesellte sich ein Gesprächicherer zu ihm und erzählte die Ursache der starken Pilgrimschaft. Zu Hochdorf, sagte er, und dies war auch der Name des Nachtquartiers unserer Reisenden, wird heute Abend eine Komödie gegeben, wohin alles aus der Nachbarschaft eilt. – Wie, rief Wilhelm, in diesen einsamen Gebürgen, zwischen diesen undurchdringlichen Wäldern, hat die Schauspielkunst einen Weg gefunden, und sich einen Tempel aufgebaut! – Sie werden sich noch mehr wundern, sagte der andre, wenn Sie hören, durch wen es aufgeführt wird. Es ist eine große Wachstapetenfabrik an dem Orte, die viele Leute ernährt. Der Unternehmer, der so zu sagen, von aller menschlichen Gesellschaft entfernt lebt, weiß seine Maler und Arbeiter Winters nicht besser zu beschäftigen, als daß er sie veranlaßt hat Komödien zu spielen. Er leidet keine Karten unter ihnen, und wünscht sie sonst von rohen Sitten abzuhalten. So bringen sie die langen Abende zu, und heute da des Alten Geburtstag ist, geben sie ihm zu Ehren eine Festlichkeit.

    Bei dem Namen des Ortes und des Fabrikdirektors fiel ihm auf, daß er auch diesen Mann auf der Liste derjenigen habe, die ihm zu mahnen, aufgetragen worden. Da kommst du zur ungelegenen Stunde, sagte er zu sich, indem du dieser Leute Sorge erneuerst, die sie sich vielleicht einen Augenblick aus dem Sinne geschlagen hatten. Diese Betrachtung verdarb ihm den ganzen Überrest des Weges und er nahte sich nicht ohne eine geheime gutmütige Unruhe dem Hause. Die übrige Reisegesellschaft war schon vorher in dem Gasthofe angekommen, und hatte sich, von der Neuheit des Schauspiels angezogen, einen Eingang verschafft, und Wilhelm wurde auch von dem Hausvater mit größter Freundlichkeit aufgenommen. Als er seinen Namen nannte tat der Alte ganz verwundert und rief aus: ei mein Herr, sind Sie der Sohn des braven Mannes, dem ich so viel Dank, und, auch bis itzt noch Geld schuldig bin! Ihr Herr Vater hat so viel Geduld mit mir gehabt, daß ich ein Bösewicht sein müßte, wenn ich ihn nicht treulich und redlich bezahlte. Sie kommen eben zur rechten Zeit um zu sehen, daß es mir Ernst ist. Ich habe seit einigen Jahren immer Aufschub gebeten, nun aber sind mir Gott sei Dank, einige ansehnliche Schuldposten eingegangen, und ich habe eine Einteilung gemacht wo Ihr Herr Vater nicht vergessen ist. Ich bin ihm noch hundert Dukaten schuldig, zwei hundert Taler liegen gleich parat, und wegen des Überrestes wird er mir ja wohl, bis die nächste Messe Kredit geben. Er rief seine Frau herbei, welche eben so erfreut schien den jungen Menschen zu sehn, versicherte, daß er seinem Vater gliche, und sehr bedauerte, daß sie ihn wegen vieler Fremden die Nacht nicht beherbergen könnte. Wilhelm produzierte seine Papiere und Vollmachten, der Alte führte ihn in sein Comtoir, und zahlte ihm die zweihundert Taler auf der Stelle in Golde aus. Wenn das so fortgeht, dachte er bei sich selbst, so hat Werner wohl Recht, daß es leichter ist als man denkt, die Menschen zu ihrer Schuldigkeit anzuhalten.

    Die Stunde des Schauspieles nahte herbei als man auf einmal die traurige Nachricht brachte, der neue Pfarrer, der erst einige Monate angezogen war, habe das Schauspiel untersagen oder vielmehr ankündigen lassen, er könne nicht zugeben, daß in seiner Gemeinde Komödie gespielt würde, bis sie eine Erlaubnis von dem Amte vorzeigten. Man hatte ihm vergebens vorgestellt, der Amtmann wisse nur sehr wohl darum, sei öfters selbst in den Stücken gewesen, er werde gewiß nichts dagegen einzuwenden haben, man könne nur unter drei Stunden nicht hin und her kommen; vergebens! er blieb auf seinem Kopfe, und die ganze Gesellschaft war in der größten Verlegenheit. Wilhelm übernahm es, ihn zu rektifizieren, ging zu ihm und hielt ihm die pathetischste Anrede. Der Geistliche war unbeweglich, und der junge Redner legte ihm Gründe aller Art vor; umsonst! denn jener blieb auf seiner Meinung und versicherte, daß er nicht abgehen könne noch wolle. Der unglückliche Abgesandte kehrte voll Zorn und Verdruß zurück, die ganze Gesellschaft war außer sich. Die Akteurs kamen angezogen herbeigelaufen und erzählten mit der größten Unruhe, daß Lampen und Lichter brennten, und alles zum Winke bereit sei. Man schalt, man stampfte, man lief, man schrie. Als der Lärm am ärgsten wurde, kamen Pferde vor die Türe, und der Oberforstmeister mit einigen Jägern stieg ab. Er wunderte sich höchlich über die Verwirrung, in der er das Haus fand und worüber man ihm fast die gewöhnliche Ehrerbietung zu bezeigen vergaß. Da er die Ursache davon hörte, rief er aus, der Pfaff will euch nicht spielen lassen! ei! ei! ich will ihm ein Wörtchen in das Ohr sagen, wir sind gute Freunde, er wird mir es gewiß zu Gefallen tun.

    Er ging auch wirklich zu ihm, und kam bald mit der Erlaubnis zurück, sie sollten nur anfangen. Wilhelm wünschte bei sich selbst die Gründe zu wissen, womit dieser Kavalier den Geistlichen überredet hätte, denn ich habe doch wie mich dünkt, sagte er zu sich selbst, nichts vergessen, was ein vernünftiger Mensch bei dieser Gelegenheit sagen kann, und habe ihn nicht überzeugen können.

    Die Gesellschaft wurde nunmehro in das Schauspielhaus geführt, welches eine Scheune war, die gleich am Garten lag. Die innere Dekoration verwunderte jedermann, denn sie war artig obgleich ohne sonderlichen Geschmack. Einer von den Malern, welche auf der Fabrik arbeiteten, hatte bei der Dresdner Oper Hand gelangt. Leinwand und Farben kosteten wenig und ihre Mühe ward durch die Sache selbst belohnt. Ihr Stück, das sie halb von einer herumziehenden Truppe geborgt, halb nach ihrer eigenen Weise zurecht gestutzt hatten, so schlecht es war, unterhielte die Zuschauer. Die Intrigue, daß zwei Liebhaber ein Mädchen ihrem Vormunde und wechselsweise sich selbst entreißen wollen, brachte allerlei interessante Situationen hervor, und machte den Gang des Stückes lebhaft. Ich sehe daraus, sagte Wilhelm bei sich selbst, daß die Alten Recht haben, die behaupten, daß ein Stück, wenn es voller Handlung sei, auch ohne Sitten, ohne Schilderung wahrer Menschheit, doch gefallen und ergötzen könne. Dies, sagen sie, seien die Anfänge des Theaters gewesen, und ich glaube es fast, da es auch die Anfänge des unsrigen sind. Der rohe Mensch ist zufrieden, wenn er nur etwas vorgehen sieht, der gebildete will empfinden, und Nachdenken ist nur dem ganz ausgebildeten angenehm.

    Aus seinen stillen Betrachtungen störte ihn der Tobaksdampf der immer stärker und stärker wurde. Der Oberforstmeister hatte bald nach Anfange des Stücks seine Pfeife angezündet, und nach und nach nahmen sich mehrere diese Freiheit aus. Noch einen schummern Auftritt machten die großen Hunde dieses Herrn, die man zwar ausgesperrt hatte, die aber bald den Weg zu einer Hintertüre hereinfanden, auf das Theater liefen, wider die Akteurs rannten und durch einen Sprung über das Orchester, ihren Herrn im Parterre aufsuchten.

    Zum Nachspiel hatten sie einen Glückwunsch zusammengestoppelt, ein schlechtes Portrait des Alten auf einen Altar gestellt und mit Kränzen behängt, dem sie in demutsvollen Stellungen huldigten. Das jüngste Kind trat wohlaufgeputzt hervor, und hielte eine Rede in sehr mittelmäßigen Versen welche die ganze Familie und sogar den Oberforstmeister, der sich dabei an seine Kinder erinnerte, zu Tränen bewegte. Wie mächtig sind Lokalumstände auf die Herzen der Menschen, und wie rührend ist eine Feierlichkeit, wenn sie auch nicht in dem besten Geschmacke angestellt ist.
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