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Wilhelm Meisters theatralische Sendung Kapitel VII - Johann Wolfgang von Goethe
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Wilhelm Meisters theatralische Sendung Kapitel VII Johann Wolfgang von Goethe

Wilhelm Meisters theatralische Sendung Kapitel VII - Johann Wolfgang von Goethe
                                            Sechstes Buch                                                 1.Kapitel

    Unsere drei verunglückten Abenteurer waren noch eine ganze Zeitlang harrend, und wartend in der seltsamen Lage geblieben, in der wir sie zu Ende des vorigen Buches gelassen haben. Niemand eilte ihnen zu Hülfe, der Abend drohte herein zu brechen, Philinens Gleichgültigkeit fing an in Unruhe über zu gehen, Mignon lief hin und wider, und die Ungeduld des Kindes nahm mit jedem Augenblicke zu. Endlich da ihnen der Wunsch gewährt ward, und Menschen sich ihnen näherten, überfiel sie ein neuer Schrecken. Sie hörten ganz deutlich, daß ein Trupp Pferde den Weg herauf kamen den sie auch zurückgelegt hatten, sie dachten nicht anders, als daß es abermals eine Gesellschaft solcher ungebetenen Gäste sein würde die diesen Wahlplatz besuchten um Nachlese zu halten. Wie angenehm wurden sie dagegen überrascht als ihnen zuerst aus den Büschen auf einem Schimmel reitend ein Frauenzimmer zu Gesichte kam, die von einem ältlichen Herrn und einigen Kavalieren begleitet wurde. Reitknechte und Bediente folgten nach.

    Philine machte zu dieser Erscheinung große Augen, war eben im Begriff zu rufen, und die schöne Amazone um Hülfe anzuflehen, als diese schon erstaunt ihre Augen nach der wunderbaren Gruppe wendete, sogleich ihr Pferd lenkte, herzuritt, und stille hielt. Sie erkundigte sich eifrig nach dem Verwundeten, dessen Lage in dem Schoße der leichtfertigen Samariterin ihr höchst sonderbar vorzukommen schien. Ist es Ihr Mann? fragte sie Philinen. Es ist nur ein guter Freund, versetzte diese, mit einer Art, die Wilhelmen höchst zu wider war. Er hatte seine Augen auf die sanften, stillen, teilnehmenden Gesichtszüge der Ankommenden geheftet, er glaubte nie etwas liebenswürdigeres gesehen zu haben. Ein weiter Mannsüberrock, der ihr nicht paßte, verbarg ihm ihre Gestalt. Sie hatte wie es schien gegen die Einflüsse der kühlen Abendluft dieses Kleid von einem ihrer Gesellschafter geborgt. Die Ritter waren indes auch näher gekommen, und einige abgestiegen, die Dame tat ein Gleiches, und fragte mit menschenfreundlicher Teilnehmung, nach allen Umständen des Unfalls, der die Reisenden betroffen hatte, nach den Wunden des hingestreckten Jünglings, worauf sie sich schnell umwandte und mit dem alten Herrn seitwärts nach einigen Wagen ging, welche langsam den Berg herauf kamen, und auf dem Wahlplatz stille hielten.

    Nachdem die junge Dame eine kurze Zeit am Schlage der einen Kutsche gestanden, und sich mit den Ankommenden unterhalten hatte, stieg ein Mann von untersetzter Gestalt heraus, den sie zu unserm verwundeten Helden führte. An dem Kästgen das er in der Hand hatte, und an der ledernen Instrumenten Tasche, erkannte man ihn bald für einen Wundarzt. Seine Manieren waren eher rauh als einnehmend, doch seine Hand leicht, und seine Hülfe willkommen.

    Er sondierte genau, erklärte es sei keine Gefahr, er wolle den Verwundeten so weit verbinden daß er in das nächste Dorf gebracht werden könne. Jedermann war besorgt am tätigsten die junge Dame. Sehen Sie nur, sagte sie, nachdem sie einige male hin und her gegangen war, und den alten Herrn wieder herbei führte, sehen Sie wie man ihn zugerichtet hat. Und er leidet doch um unsertwillen! Der Leidende der es hörte verstand nicht was sie damit meinte. Sie ging wie unruhig hin und wieder. Es schien als könnte sie sich nicht von dem Anblick des Verwundeten losreißen, und als fürchtete sie zugleich den Wohlstand zu beleidigen, wenn sie stehen bliebe, zu der Zeit da man ihn wie wohl mit Mühe zu entkleiden anfing. Der Chirurgus schnitt eben den linken Ärmel auf als der alte Herr herbeikam, und von der Notwendigkeit den Weg fortzusetzen sprach. Wilhelm hatte seine Augen auf sie gerichtet, und war von ihren Blicken so eingenommen, daß er kaum fühlte was mit ihm vorging.

    Philine war aufgestanden um der gnädigen Dame die Hand zu küssen, und es war unserm Freunde innig zuwider, daß ein so unreines Wesen jener edlen Natur sich nahen, oder sie gar berühren sollte. Die Dame fragte Philinen verschiedenes, das Wilhelm nicht erhorchen konnte, endlich kehrte sie sich zu dem alten Herrn, der immer noch mit einem ganz trocknen Blick dabei stund, und sagte: mein lieber Oheim darf ich auf Ihre Kosten freigebig sein? Sie zog sogleich den Überrock aus, und man sahe daß es in der Absicht geschah um ihn dem Verwundeten und Unbekleideten hinzugeben. Wilhelm den der heilsame Anblick ihrer Augen bisher festgehalten hatte war als der Überrock fiel von ihrer schönen Gestalt überrascht. Sie trat näher zu ihm und reichte ihm den Rock, indem sie ihn sanft über ihn hinlegte. In diesem Augenblicke da er den Mund öffnen und einige Worte des Dankes hervorbringen wollte, würkte der lebhafte Eindruck ihrer Gegenwart so sonderbar auf seine schon angegriffenen Sinnen, daß es ihm auf einmal vorkam, als sei ihr Haupt mit Strahlen umgeben, die sich nach und nach über ihr ganzes Bild ausbreiteten. Der Chirurgus berührte ihn eben unsanfter, indem er die Kugel welche stecken geblieben war traf und sie herauszuziehen Anstalt machte. Die Heilige verschwand vor den Augen des Hinsinkenden, er verlor die Kenntnis sein selbst, und als er wieder zu sich kam, waren Reiter und Wagen, die Schöne samt ihrer Begleitung verschwunden.


                                                2.Kapitel

    Nachdem unser Freund verbunden und angekleidet war, eilte der Chirurgus weg, zu eben der Zeit als ein Bedienter, den die Herrschaft nach dem nächsten Dorfe geschickt hatte, mit einer Anzahl Bauern herauf kam. Sie bereiteten eilig, aus abgehauenen Ästen, und eingeflochtenen Reisig, eine Trage, luden den Verwundeten auf, und brachten ihn sachte den Berg hinunter.

    Der Harfenspieler half ihnen der gleichfalls wieder gekommen war, die übrigen Leute schleppten Philinens schweren Koffer, sie schlich mit einigen Bündeln nach, und Mignon sprang bald voraus, bald zur Seite durch die Büsche, und blickte sehnlich nach seinem kranken Beschützer hinüber. Dieser lag in seinem warmen Überrock gehüllt, ruhig auf der Bahre.

    Eine elektrische Wärme schien aus der feinen Wolle in seinen Körper über zu gehen, ja sogar ihn in die behaglichste Empfindung zu versetzen. Von seiner ersten Jugend an erinnerte er sich keines so angenehmen Eindrucks, als den die schöne Besitzerin des Kleids auf ihn gemacht hatte, er sah noch den Rock von ihren Schultern fallen, die edelste Gestalt mit Strahlen umgeben vor sich stehen, und seine Seele eilte der Verschwundenen in alle Weltgegenden nach.

    So kam der Zug vor dem Wirtshause an, wo die übrige Gesellschaft zum größten Teile sich befand, und über ihren Verlust voller Verzweiflung war. Die einzige kleine Stube des Hauses war von Menschen vollgepfropft, einige lagen auf der Streue andere hatten die Bänke eingenommen, einige hatten sich hinter den Ofen gedruckt, und Frau Melina erwartete in einer schlechten Kammer ängstlich ihre Niederkunft die der Schrecken und die üble Behandlung zu beschleunigen drohten. Als die neuen Ankömmlinge gleichfalls herein und Platz nehmen wollten, entstand ein allgemeines Murren, man empfing sie mit Spott und Verdruß, denn man erinnerte sich nur leider zu sehr, daß man auf Wilhelms Rat, unter seiner Anführung, den gefährlichen Weg unternommen, und sich diesem Unfall ausgesetzt hatte.

    Jedermann warf nun die Schuld eines so üblen Ausgangs auf ihn, man widersetzte sich an der Türe seinem Eintritt, man verlangte er solle anders wo unterzukommen suchen, und Philinen sagte man gar: es werde ihr nichts schaden wenn sie eine Nacht auf der Gasse zubringen müßte.
Es hätte wohl auch so werden können, wenn nicht der Bediente dem von seiner schönen Herrschaft ernstlich befohlen war für die Verlassenen zu sorgen, sich nicht in den Streit gemischt, und ihn summarisch abgetan hätte.
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