Zehntes Kapitel
Hersilie an Wilhelm
Die ganze Welt wirft mir seit langen Jahren vor, ich sei ein launig-wunderliches Mädchen. Mag ich's doch sein, so bin ich's ohne mein Verschulden. Die Leute mußten Geduld mit mir haben, und nun brauche ich Geduld mit mir selber, mit meiner Einbildungskraft, die mir Vater und Sohn, bald zusammen, bald wechselsweise, hin und wieder vor die Augen führt. Ich komme mir vor wie eine unschuldige Alkmene, die von zwei Wesen, die einander vorstellen, unablässig heimgesucht wird.
Ich habe Ihnen viel zu sagen, und doch schreibe ich Ihnen, so scheint es, nur, wenn ich ein Abenteuer zu erzählen habe; alles übrige ist auch abenteuerlich zwar, aber kein Abenteuer. Nun also zu dem heutigen:
Ich sitze unter den hohen Linden und mache soeben ein Brieftäschchen fertig, ein sehr zierliches, ohne deutlichst zu wissen, wer es haben soll, Vater oder Sohn, aber gewiß einer von beiden; da kommt ein junger Tabulettkrämer mit Körbchen und Kästchen auf mich zu, er legitimiert sich bescheiden durch einen Schein des Beamten, daß ihm erlaubt sei, auf den Gütern zu hausieren; ich besehe seine Sächelchen bis in die unendlichen Kleinigkeiten, deren niemand bedarf und die jedermann kauft aus kindischem Trieb, zu besitzen und zu vergeuden. Der Knabe scheint mich aufmerksam zu betrachten. Schöne schwarze, etwas listige Augen, wohlgezeichnete Augenbraunen, reiche Locken, blendende Zahnreihen, genug, Sie verstehen mich, etwas Orientalisches.
Er tut mancherlei Fragen, auf die Personen der Familie bezüglich, denen er allenfalls etwas anbieten dürfte; durch allerlei Wendungen weiß er es einzuleiten, daß ich mich ihm nenne. »Hersilie«, spricht er bescheiden, »wird Hersilie verzeihen, wenn ich eine Botschaft ausrichte?« Ich sehe ihn verwundert an, er zieht das kleinste Schiefertäfelchen hervor, in ein weißes Rähmchen gefaßt, wie man sie im Gebirg für die kindischen Anfänge des Schreibens zubereitet; ich nehm' es an, sehe es beschrieben und lese die mit scharfem Griffel sauber eingegrabene Inschrift:
»Felix
liebt
Hersilien.
Der Stallmeister
kommt bald.«
Ich bin betroffen, ich gerate in Verwunderung über das, was ich in der Hand halte, mit Augen sehe, am meisten darüber, daß das Schicksal sich fast noch wunderlicher beweisen will, als ich selbst bin. – »Was soll das!« sag' ich zu mir, und der kleine Schalk ist mir gegenwärtiger als je, ja es ist mir, als ob sein Bild sich mir in die Augen hineinbohrte.
Nun fang' ich an zu fragen und erhalte wunderliche, unbefriedigende Antworten; ich examiniere, und erfahre nichts; ich denke nach, und kann die Gedanken nicht recht zusammenbringen. Zuletzt verknüpf' ich aus Reden und Widerreden so viel, daß der junge Krämer auch die pädagogische Provinz durchzogen, das Vertrauen meines jungen Verehrers erworben, welcher auf ein erhandeltes Täfelchen die Inschrift geschrieben und ihm für ein Wörtchen Antwort die besten Geschenke versprochen. Er reichte mir sodann ein gleiches Täfelchen, deren er mehrere in seinem Warenbesteck vorwies, zugleich einen Griffel, wobei er so freundlich drang und bat, daß ich beides annahm, dachte, wieder dachte, nichts erdenken konnte und schrieb:
»Hersiliens
Gruß
an Felix.
Der Stallmeister
halte sich gut.«
Hersilie an Wilhelm
Die ganze Welt wirft mir seit langen Jahren vor, ich sei ein launig-wunderliches Mädchen. Mag ich's doch sein, so bin ich's ohne mein Verschulden. Die Leute mußten Geduld mit mir haben, und nun brauche ich Geduld mit mir selber, mit meiner Einbildungskraft, die mir Vater und Sohn, bald zusammen, bald wechselsweise, hin und wieder vor die Augen führt. Ich komme mir vor wie eine unschuldige Alkmene, die von zwei Wesen, die einander vorstellen, unablässig heimgesucht wird.
Ich habe Ihnen viel zu sagen, und doch schreibe ich Ihnen, so scheint es, nur, wenn ich ein Abenteuer zu erzählen habe; alles übrige ist auch abenteuerlich zwar, aber kein Abenteuer. Nun also zu dem heutigen:
Ich sitze unter den hohen Linden und mache soeben ein Brieftäschchen fertig, ein sehr zierliches, ohne deutlichst zu wissen, wer es haben soll, Vater oder Sohn, aber gewiß einer von beiden; da kommt ein junger Tabulettkrämer mit Körbchen und Kästchen auf mich zu, er legitimiert sich bescheiden durch einen Schein des Beamten, daß ihm erlaubt sei, auf den Gütern zu hausieren; ich besehe seine Sächelchen bis in die unendlichen Kleinigkeiten, deren niemand bedarf und die jedermann kauft aus kindischem Trieb, zu besitzen und zu vergeuden. Der Knabe scheint mich aufmerksam zu betrachten. Schöne schwarze, etwas listige Augen, wohlgezeichnete Augenbraunen, reiche Locken, blendende Zahnreihen, genug, Sie verstehen mich, etwas Orientalisches.
Er tut mancherlei Fragen, auf die Personen der Familie bezüglich, denen er allenfalls etwas anbieten dürfte; durch allerlei Wendungen weiß er es einzuleiten, daß ich mich ihm nenne. »Hersilie«, spricht er bescheiden, »wird Hersilie verzeihen, wenn ich eine Botschaft ausrichte?« Ich sehe ihn verwundert an, er zieht das kleinste Schiefertäfelchen hervor, in ein weißes Rähmchen gefaßt, wie man sie im Gebirg für die kindischen Anfänge des Schreibens zubereitet; ich nehm' es an, sehe es beschrieben und lese die mit scharfem Griffel sauber eingegrabene Inschrift:
»Felix
liebt
Hersilien.
Der Stallmeister
kommt bald.«
Ich bin betroffen, ich gerate in Verwunderung über das, was ich in der Hand halte, mit Augen sehe, am meisten darüber, daß das Schicksal sich fast noch wunderlicher beweisen will, als ich selbst bin. – »Was soll das!« sag' ich zu mir, und der kleine Schalk ist mir gegenwärtiger als je, ja es ist mir, als ob sein Bild sich mir in die Augen hineinbohrte.
Nun fang' ich an zu fragen und erhalte wunderliche, unbefriedigende Antworten; ich examiniere, und erfahre nichts; ich denke nach, und kann die Gedanken nicht recht zusammenbringen. Zuletzt verknüpf' ich aus Reden und Widerreden so viel, daß der junge Krämer auch die pädagogische Provinz durchzogen, das Vertrauen meines jungen Verehrers erworben, welcher auf ein erhandeltes Täfelchen die Inschrift geschrieben und ihm für ein Wörtchen Antwort die besten Geschenke versprochen. Er reichte mir sodann ein gleiches Täfelchen, deren er mehrere in seinem Warenbesteck vorwies, zugleich einen Griffel, wobei er so freundlich drang und bat, daß ich beides annahm, dachte, wieder dachte, nichts erdenken konnte und schrieb:
»Hersiliens
Gruß
an Felix.
Der Stallmeister
halte sich gut.«
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