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Wilhelm Meisters Wanderjahre - Kapitel 64 - Johann Wolfgang von Goethe
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Wilhelm Meisters Wanderjahre - Kapitel 64 Johann Wolfgang von Goethe

Wilhelm Meisters Wanderjahre - Kapitel 64 - Johann Wolfgang von Goethe
                                            Vierzehntes Kapitel

    Unser Freund las mit großem Anteil das Vorgelegte, mußte aber zugleich gestehen, er habe schon beim Schluß des vorigen Heftes geahnet, ja vermutet, das gute Wesen sei entdeckt worden. Die Beschreibung der schroffen Gebirgsgegend habe ihn zuerst in jene Zustände versetzt, besonders aber sei er durch die Ahnung Lenardos in jener Mondennacht, so auch durch die Wiederholung der Worte seines Briefes auf die Spur geleitet worden. Friedrich, dem er das alles umständlich vortrug, ließ sich es auch ganz wohl gefallen.

    Hier aber wird die Pflicht des Mitteilens, Darstellens, Ausführens und Zusammenziehens immer schwieriger. Wer fühlt nicht, daß wir uns diesmal dem Ende nähern, wo die Furcht, in Umständlichkeiten zu verweilen, mit dem Wunsche, nichts völlig unerörtert zu lassen, uns in Zwiespalt versetzt. Durch die eben angekommene Depesche wurden wir zwar von manchem unterrichtet, die Briefe jedoch und die vielfachen Beilagen enthielten verschiedene Dinge, gerade nicht von allgemeinem Interesse. Wir sind also gesonnen, dasjenige, was wir damals gewußt und erfahren, ferner auch das, was später zu unserer Kenntnis kam, zusammenzufassen und in diesem Sinne das übernommene ernste Geschäft eines treuen Referenten getrost abzuschließen.

    Vor allen Dingen haben wir daher zu berichten, daß Lothario mit Theresen, seiner Gemahlin, und Natalien, die ihren Bruder nicht von sich lassen wollte, in Begleitung des Abbés schon wirklich zur See gegangen sind. Unter günstigen Vorbedeutungen reisten sie ab, und hoffentlich bläht ein fördernder Wind ihre Segel. Die einzige unangenehme Empfindung, eine wahre sittliche Trauer, nehmen sie mit: daß sie Makarien vorher nicht ihren Besuch abstatten konnten. Der Umweg war zu groß, das Unternehmen zu bedeutend; schon warf man sich einige Zögerung vor und mußte selbst eine heilige Pflicht der Notwendigkeit aufopfern.

    Wir aber, von unserer erzählenden und darstellenden Seite, sollten diese teuren Personen, die uns früher so viele Neigungen abgewonnen, nicht in so weite Entfernung ziehen lassen, ohne von ihrem bisherigen Vornehmen und Tun nähere Nachricht erteilt zu haben, besonders da wir so lange nichts Ausführliches von ihnen vernommen. Gleichwohl unterlassen wir dieses, weil ihr bisheriges Geschäft sich nur vorbereitend auf das große Unternehmen bezog, auf welches wir sie lossteuern sehen. Wir leben jedoch in der Hoffnung, sie dereinst in voller geregelter Tätigkeit, den wahren Wert ihrer verschiedenen Charaktere offenbarend, vergnüglich wiederzufinden.

    Juliette, die Sinnige-Gute, deren wir uns wohl noch erinnern, hatte geheiratet, einen Mann nach dem Herzen des Oheims, durchaus in seinem Sinne mit- und fortwirkend. Juliette war in der letzten Zeit viel um die Tante, wo manche derjenigen zusammentrafen, auf die sie wohltätigen Einfluß gehabt; nicht nur solche, die dem festen Lande gewidmet bleiben, auch solche, die über See zu gehen gedenken. Lenardo hingegen hatte schon früher mit Friedrichen Abschied genommen; die Mitteilung durch Boten war unter diesen desto lebhafter.

    Vermißte man also in dem Verzeichnisse der Gäste jene edlen Obengenannten, so waren doch manche bedeutende, uns schon näher bekannte Personen darauf zu finden. Hilarie kam mit ihrem Gatten, der nun als Hauptmann und entschieden reicher Gutsbesitzer auftrat. Sie in ihrer großen Anmut und Liebenswürdigkeit gewann sich hier wie überall gar gern Verzeihung einer allzu großen Leichtigkeit, von Interesse zu Interesse übergehend zu wechseln, deren wir sie im Lauf der Erzählung schuldig gefunden. Besonders die Männer rechneten es ihr nicht hoch an. Einen dergleichen Fehler, wenn es einer ist, finden sie nicht anstößig, weil ein jeder wünschen und hoffen mag, auch an die Reihe zu kommen.

    Flavio, ihr Gemahl, rüstig, munter und liebenswürdig genug, schien vollkommen ihre Neigung zu fesseln; sie mochte sich das Vergangene selbst verziehen haben; auch fand Makarie keinen Anlaß, dessen zu erwähnen. Er, der immer leidenschaftliche Dichter, bat sich aus, beim Abschiede ein Gedicht vorlesen zu dürfen, welches er zu Ehren ihrer und ihrer Umgebung in den wenigen Tagen seines Hierseins verfaßte. Man sah ihn oft im Freien auf und ab gehen, nach einigem Stillstand mit bewegter Gebärde wieder vorwärts schreitend in die Schreibtafel schreiben, sinnen und wieder schreiben. Nun aber schien er es für vollendet zu halten, als er durch Angela jenen Wunsch zu erkennen gab.

    Die gute Dame, obgleich ungern, verstand sich hiezu, und es ließ sich allenfalls anhören, ob man gleich dadurch weiter nichts erfuhr, als was man schon wußte, nichts fühlte, als was man schon gefühlt hatte. Indessen war denn doch der Vortrag leicht und gefällig, Wendung und Reim mitunter neu, wenn man es auch hätte im ganzen etwas kürzer wünschen mögen. Zuletzt übergab er dasselbe, auf gerändertes Papier sehr schön geschrieben, und man schied mit vollkommener wechselseitiger Zufriedenheit.

    Dieses Paar war von einer bedeutenden, wohlgenutzten Reise nach dem Süden zurückgekommen, um den Vater, den Major, von Hause abzulösen, der mit jener Unwiderstehlichen, die nun seine Gemahlin geworden, auch etwas von der paradiesischen Luft zu einiger Erquickung einatmen wollte.

    Diese beiden kamen denn auch, im Wechsel, und so wie überall hatte bei Makarien die Merkwürdige auch vorzügliche Gunst, welche sich besonders darin erwies, daß die Dame in den innern Zimmern und allein empfangen wurde, welche Geneigtheit auch nachher dem Major zuteil ward. Dieser empfahl sich darauf sogleich als gebildeter Militär, guter Haus- und Landwirt, Literaturfreund, sogar als Lehrdichter beifallswürdig und fand bei dem Astronomen und sonstigen Hausgenossen guten Eingang.

    Auch von unserm alten Herrn, dem würdigen Oheim, ward er besonders ausgezeichnet, welcher, in mäßiger Ferne wohnend, diesmal mehr, als er sonst pflegte, obgleich nur für Stunden, herüberkam, aber keine Nacht, auch bei angebotener größten Bequemlichkeit, zu bleiben bewogen werden konnte.

    Bei solchen kurzen Zusammenkünften war seine Gegenwart jedoch höchst erfreulich, weil er sodann, als Welt- und Hofmann, nachgiebig und vermittelnd auftreten wollte; wobei denn sogar ein Zug von aristokratischer Pedanterie nicht unangenehm empfunden wurde. Überdem ging diesmal sein Behagen von Grund aus, er war glücklich, wie wir uns alle fühlen, wenn wir mit verständig-vernünftigen Leuten Wichtiges zu verhandeln haben. Das umfassende Geschäft war völlig im Gange, es bewegte sich stetig nach gepflogener Verabredung.
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