Dreizehntes Kapitel
Eine vollkommene Stille schloß sich an diese lebhafte Bewegung der vergangenen Tage. Die drei Freunde blieben allein gegen einander über stehen, und es ward gar bald merkbar, daß zwei von ihnen, Lenardo und Friedrich, von einer sonderbaren Unruhe bewegt wurden; sie verbargen nicht, daß sie beide ungeduldig seien, für ihren Teil in der Abreise von diesem Ort sich gehindert zu sehen. Sie erwarteten einen Boten, hieß es, und es kam indessen nichts Vernünftiges, nichts Entscheidendes zur Sprache.
Endlich kommt der Bote, ein bedeutendes Paket überbringend, worüber sich Friedrich sogleich herwirft, um es zu eröffnen. Lenardo hält ihn ab und spricht: »Laß es unberührt, leg' es vor uns nieder auf den Tisch; wir wollen es ansehen, denken und vermuten, was es enthalten möge. Denn unser Schicksal ist seiner Bestimmung näher, und wenn wir nicht selbst Herren darüber sind, wenn es von dem Verstande, von den Empfindungen anderer abhängt, ein Ja oder Nein, ein So oder So zu erwarten ist, dann ziemt es, ruhig zu stehen, sich zu fassen, sich zu fragen, ob man es erdulden würde als wenn es ein sogenanntes Gottesurteil wäre, wo uns auferlegt ist, die Vernunft gefangenzunehmen.«
»Du bist nicht so gefaßt, als du scheinen willst«, versetzte Friedrich, »bleibe deswegen allein mit deinen Geheimnissen und schalte darüber nach Belieben, mich berühren sie auf alle Fälle nicht; aber laß mich indes diesem alten, geprüften Freunde den Inhalt offenbaren und die zweifelhaften Zustände vorlegen, die wir ihm schon so lange verheimlicht haben.« Mit diesen Worten riß er unsern Freund mit sich weg, und schon unterwegs rief er aus: »Sie ist gefunden, längst gefunden! und es ist nur die Frage, wie es mit ihr werden soll.«
»Das wußt' ich schon«, sagte Wilhelm, »denn Freunde offenbaren einander gerade das am deutlichsten, was sie einander verschweigen; die letzte Stelle des Tagebuchs, wo sich Lenardo gerade mitten im Gebirg des Briefes erinnert, den ich ihm schrieb, rief mir in der Einbildungskraft im ganzen Umgange des Geistes und Gefühls jenes gute Wesen hervor; ich sah ihn schon mit dem nächsten Morgen sich ihr nähern, sie anerkennen und was daraus mochte gefolgt sein. Da will ich denn aber aufrichtig gestehen, daß nicht Neugierde, sondern ein redlicher Anteil, den ich ihr gewidmet habe, mich über euer Schweigen und Zurückhalten beunruhigte.«
»Und in diesem Sinne«, rief Friedrich, »bist du gerade bei diesem angekommenen Paket hauptsächlich mit interessiert; der Verfolg des Tagebuchs war an Makarien gesandt, und man wollte dir durch Erzählung das ernst-anmutige Ereignis nicht verkümmern. Nun sollst du's auch gleich haben; Lenardo hat gewiß indessen ausgepackt, und das braucht er nicht zu seiner Aufklärung.«
Friedrich sprang hiermit nach alter Art hinweg, sprang wieder herbei und brachte das versprochene Heft. »Nun muß ich aber auch erfahren«, rief er, »was aus uns werden wird.« Hiemit war er wieder entsprungen, und Wilhelm las:
Lenardos Tagebuch
Fortsetzung
Freitag, den 19ten.
Da man heute nicht säumen durfte, um zeitig zu Frau Susanne zu gelangen, so frühstückte man eilig mit der ganzen Familie, dankte mit versteckten Glückwünschen und hinterließ dem Geschirrfasser, welcher zurückblieb, die den Jungfrauen zugedachten Geschenke, etwas reichlicher und bräutlicher als die vorgestrigen, sie ihm heimlich zuschiebend, worüber der gute Mann sich sehr erfreut zeigte.
Diesmal war der Weg frühe zurückgelegt; nach einigen Stunden erblickten wir in einem ruhigen, nicht allzu weiten, flachen Tale, dessen eine, felsige Seite von Wellen des klarsten Sees leicht bespült sich widerspiegelte, wohl und anständig gebaute Häuser, um welche ein besserer, sorgfältig gepflegter Boden, bei sonniger Lage, einiges Gartenwesen begünstigte. In das Haupthaus durch den Garnboten eingeführt und Frau Susannen vorgestellt, fühlte ich etwas ganz Eigenes, als sie uns freundlich ansprach und versicherte: es sei ihr sehr angenehm, daß wir Freitags kämen, als dem ruhigsten Tage der Woche, da Donnerstags abends die gefertigte Ware zum See und in die Stadt geführt werde. Dem einfallenden Garnboten, welcher sagte: »Die bringt wohl Daniel jederzeit hinunter!«, versetzte sie: »Gewiß, er versieht das Geschäft so löblich und treu, als wenn es sein eigenes wäre.« – »Ist doch auch der Unterschied nicht groß«, versetzte jener; übernahm einige Aufträge von der freundlichen Wirtin und eilte, seine Geschäfte in den Seitentälern zu vollbringen, versprach in einigen Tagen wiederzukommen und mich abzuholen.
Mir war indessen ganz wunderlich zumute; mich hatte gleich beim Eintritt eine Ahnung befallen, daß es die Ersehnte sei; beim längeren Hinblick war sie es wieder nicht, konnte es nicht sein, und doch beim Wegblicken, oder wenn sie sich umkehrte, war sie es wieder; eben wie im Traum Erinnerung und Phantasie ihr Wesen gegeneinander treiben.
Einige Spinnerinnen, die mit ihrer Wochenarbeit gezögert hatten, brachten sie nach; die Herrin, mit freundlichster Ermahnung zum Fleiße, marktete mit ihnen, überließ aber, um sich mit dem Gast zu unterhalten, das Geschäft an zwei Mädchen, welche sie Gretchen und Lieschen nannte und welche ich um desto aufmerksamer betrachtete, als ich ausforschen wollte, wie sie mit der Schilderung des Geschirrfassers allenfalls zusammenträfen. Diese beiden Figuren machten mich ganz irre und zerstörten alle Ähnlichkeit zwischen der Gesuchten und der Hausfrau.
Eine vollkommene Stille schloß sich an diese lebhafte Bewegung der vergangenen Tage. Die drei Freunde blieben allein gegen einander über stehen, und es ward gar bald merkbar, daß zwei von ihnen, Lenardo und Friedrich, von einer sonderbaren Unruhe bewegt wurden; sie verbargen nicht, daß sie beide ungeduldig seien, für ihren Teil in der Abreise von diesem Ort sich gehindert zu sehen. Sie erwarteten einen Boten, hieß es, und es kam indessen nichts Vernünftiges, nichts Entscheidendes zur Sprache.
Endlich kommt der Bote, ein bedeutendes Paket überbringend, worüber sich Friedrich sogleich herwirft, um es zu eröffnen. Lenardo hält ihn ab und spricht: »Laß es unberührt, leg' es vor uns nieder auf den Tisch; wir wollen es ansehen, denken und vermuten, was es enthalten möge. Denn unser Schicksal ist seiner Bestimmung näher, und wenn wir nicht selbst Herren darüber sind, wenn es von dem Verstande, von den Empfindungen anderer abhängt, ein Ja oder Nein, ein So oder So zu erwarten ist, dann ziemt es, ruhig zu stehen, sich zu fassen, sich zu fragen, ob man es erdulden würde als wenn es ein sogenanntes Gottesurteil wäre, wo uns auferlegt ist, die Vernunft gefangenzunehmen.«
»Du bist nicht so gefaßt, als du scheinen willst«, versetzte Friedrich, »bleibe deswegen allein mit deinen Geheimnissen und schalte darüber nach Belieben, mich berühren sie auf alle Fälle nicht; aber laß mich indes diesem alten, geprüften Freunde den Inhalt offenbaren und die zweifelhaften Zustände vorlegen, die wir ihm schon so lange verheimlicht haben.« Mit diesen Worten riß er unsern Freund mit sich weg, und schon unterwegs rief er aus: »Sie ist gefunden, längst gefunden! und es ist nur die Frage, wie es mit ihr werden soll.«
»Das wußt' ich schon«, sagte Wilhelm, »denn Freunde offenbaren einander gerade das am deutlichsten, was sie einander verschweigen; die letzte Stelle des Tagebuchs, wo sich Lenardo gerade mitten im Gebirg des Briefes erinnert, den ich ihm schrieb, rief mir in der Einbildungskraft im ganzen Umgange des Geistes und Gefühls jenes gute Wesen hervor; ich sah ihn schon mit dem nächsten Morgen sich ihr nähern, sie anerkennen und was daraus mochte gefolgt sein. Da will ich denn aber aufrichtig gestehen, daß nicht Neugierde, sondern ein redlicher Anteil, den ich ihr gewidmet habe, mich über euer Schweigen und Zurückhalten beunruhigte.«
»Und in diesem Sinne«, rief Friedrich, »bist du gerade bei diesem angekommenen Paket hauptsächlich mit interessiert; der Verfolg des Tagebuchs war an Makarien gesandt, und man wollte dir durch Erzählung das ernst-anmutige Ereignis nicht verkümmern. Nun sollst du's auch gleich haben; Lenardo hat gewiß indessen ausgepackt, und das braucht er nicht zu seiner Aufklärung.«
Friedrich sprang hiermit nach alter Art hinweg, sprang wieder herbei und brachte das versprochene Heft. »Nun muß ich aber auch erfahren«, rief er, »was aus uns werden wird.« Hiemit war er wieder entsprungen, und Wilhelm las:
Lenardos Tagebuch
Fortsetzung
Freitag, den 19ten.
Da man heute nicht säumen durfte, um zeitig zu Frau Susanne zu gelangen, so frühstückte man eilig mit der ganzen Familie, dankte mit versteckten Glückwünschen und hinterließ dem Geschirrfasser, welcher zurückblieb, die den Jungfrauen zugedachten Geschenke, etwas reichlicher und bräutlicher als die vorgestrigen, sie ihm heimlich zuschiebend, worüber der gute Mann sich sehr erfreut zeigte.
Diesmal war der Weg frühe zurückgelegt; nach einigen Stunden erblickten wir in einem ruhigen, nicht allzu weiten, flachen Tale, dessen eine, felsige Seite von Wellen des klarsten Sees leicht bespült sich widerspiegelte, wohl und anständig gebaute Häuser, um welche ein besserer, sorgfältig gepflegter Boden, bei sonniger Lage, einiges Gartenwesen begünstigte. In das Haupthaus durch den Garnboten eingeführt und Frau Susannen vorgestellt, fühlte ich etwas ganz Eigenes, als sie uns freundlich ansprach und versicherte: es sei ihr sehr angenehm, daß wir Freitags kämen, als dem ruhigsten Tage der Woche, da Donnerstags abends die gefertigte Ware zum See und in die Stadt geführt werde. Dem einfallenden Garnboten, welcher sagte: »Die bringt wohl Daniel jederzeit hinunter!«, versetzte sie: »Gewiß, er versieht das Geschäft so löblich und treu, als wenn es sein eigenes wäre.« – »Ist doch auch der Unterschied nicht groß«, versetzte jener; übernahm einige Aufträge von der freundlichen Wirtin und eilte, seine Geschäfte in den Seitentälern zu vollbringen, versprach in einigen Tagen wiederzukommen und mich abzuholen.
Mir war indessen ganz wunderlich zumute; mich hatte gleich beim Eintritt eine Ahnung befallen, daß es die Ersehnte sei; beim längeren Hinblick war sie es wieder nicht, konnte es nicht sein, und doch beim Wegblicken, oder wenn sie sich umkehrte, war sie es wieder; eben wie im Traum Erinnerung und Phantasie ihr Wesen gegeneinander treiben.
Einige Spinnerinnen, die mit ihrer Wochenarbeit gezögert hatten, brachten sie nach; die Herrin, mit freundlichster Ermahnung zum Fleiße, marktete mit ihnen, überließ aber, um sich mit dem Gast zu unterhalten, das Geschäft an zwei Mädchen, welche sie Gretchen und Lieschen nannte und welche ich um desto aufmerksamer betrachtete, als ich ausforschen wollte, wie sie mit der Schilderung des Geschirrfassers allenfalls zusammenträfen. Diese beiden Figuren machten mich ganz irre und zerstörten alle Ähnlichkeit zwischen der Gesuchten und der Hausfrau.
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